Seitenstraßen und Sackgassen 2022 – Schweiz, Frankreich, Italien

Das Beste im Leben findet man oft, wenn man mal die ausgetretenen Pfade verlässt und einfach mal abbiegt. Manchmal gerät man zwar dabei in eine Sackgasse, doch haben schöne Sackgassen den Vorteil, dass man sie zweimal befahren muss, um sie wieder zu verlassen. Mein Plan für die nächsten 5 Tage ist es, interessante Seitenstraßen und Sackgassen zu entdecken.

Dies ist der Plan:

Sonntag, 21. August

In Stuttgart fahre ich direkt auf die Autobahn, um erstmal Kilometer zu machen. Von Villingen-Schwenningen geht es auf der Landstraße an die Schweizer Grenze. Einige Kilometer werde ich in der Schweiz auf der gebührenpflichtigen Autobahn zurücklegen. Bevor ich in die Schweiz übersetze, tanke ich nochmal den steuerreduzierten deutschen Sprit und frage dann am Grenzübergang, ob ich denn hier eine Vignette kaufen kann. Die freundlichen Grenzbeamten verweisen mich an die nächste Tankstelle. Doch dort sagt mir die Kassiererin, dass die Vignetten ausverkauft seien. Ich fahre zur nächsten Tankstelle und bekomme die gleiche Auskunft. Häh – Vignetten sind ausverkauft??? Was soll das denn? Chipmangel? Oder hängen die Vignetten im Container auf dem Weg von Shanghai nach Hamburg fest? In der dritten Tankstelle kann ich dann letztlich doch einen der wertvollen Autobahnbenutzungsgebührenentichtungsbestätigungsaufkleber zum Sparpreis von 40 Franken erstehen. Ich klebe das gute Stück Edelfolie unter die Sitzbank aufs Motorrad und rolle auf der Autobahn nun schnurstracks Richtung Fribourg, wo ich beim amerikanischen Bratbäcker eine Pause einlege. Hier gibt es gratis WIFI, so kann ich kostenneutral eine Botschaft nach Hause senden.

Bei Bulle verlasse ich die Autobahn und komme den höheren Bergen näher.

Durch das Gruyere Käse Eldorado steuere ich auf den Lac L‘Hongrin zu und entdecke ein Hotel, das äußerlich betrachtet gar nichts mit Käse zu tun hat.

Le Rosaire – Ein Art Deco Kleinod (Tour!)

Die Route Militaire am Lac D´Hongrin ist eine Einbahnstraße. Das liegt an dem schmalen Tunnel auf der Westrampe der Straße. Da ist kein Entgegenkommen möglich. Heute darf ich hier so herum fahren. Die Aussicht von hier ist spektakulär, denn die Straße führt erst über ein Hochplateau mit Blick auf den Genfer See. Dann stürzt sie sich in die Tiefe des Rhonetals.

Die Route Militaire über dem Genfer See

Bei Martigny biege ich rechts ab und komme nach Frankreich. Der Montblanc kommt in Sichtweite. Der weiße Riese überragt alle anderen Erhebungen der Gegend und gebietet Ehrfurcht.

Bevor ich ins Hotel einchecke, beschließe ich den Tag mit einer Pizza in Sallanches beim französischen Pizzameister, dem Storia 1889. Hier lerne ich E. und D. kennen, wir quatschen ganz angeregt miteinander. Aber der Tag war lang und das Hotelbett wartet. Nach zwei vergeblichen Versuchen schaffe ich es dann letztlich auch, in das Richtige der 3 Ibis Hotels am Ort einzuchecken. Es ist das mit den vielen Mopeds vor der Tür.

Montag 22. August

Es geht bei schönstem Wetter los. Gut gelaunt geht es über den COl Des Saises und Signal de Bisanne zur Barrage de Saint Guerin und weiter über den geschotterten Cormet D´Areches, dann über den Col De La Madeleine zu den schmalen Kurven von Montvernier, einer der schönsten Seitenstraßen der Alpen. Hier muss ich nur wenigen Radfahrern und Radfahrerinnen ausweichen. Ein Auto kommt mir hier glücklicherweise nicht entgegen. Unten steht aber schon eine Gruppe Sportwagen englischen Fabrikats bereit, um die Lacets zu befahren und das Tal mit Knatterei zu beschallen. Da unten im Tal aber die Autobahn am Ort vorbeiführt, sind die Anwohner den Lärm vermutlich gewohnt.

Weiter geht es über den Col De La Croix De Fer, entlang der Barrage de Grand’Maison, zu einer weiteren, hoch über dem Tal befindlichen Nebenstrasse. Von Villaret geht es über Villard-Reymond. Am Col Du Solude geniesse ich den grandiosen Ausblick auf die Alpe D´Huez, die auf der gegenüberliegenden Talseite oben am Berg thront. Der schmale Weg weiter nach Villard-Notre-Dame ist nicht asphaltiert und führt direkt am 100m tiefen, steilen Abgrund entlang. Doch auch im weiteren Verlauf ist die D219 spektakulär: Ähnlich wie einige Straßen im Vercors ist die schmale, direkt am steilen Abgrund verlaufende und durch einige enge, unbeleuchtete Tunnel verlaufende Nebenstraße dem nackten Felsen abgetrotzt worden. Sie ermöglicht aber einen herrlichen Ausblick ins Tal, wo auf einer Schnellstrasse Menschen in Autos fahren und von all diesem hier nichts wissen.

Col Du Solude

In Le Bourg-d’Oisans fülle ich die Erdbeertörtchen und Wasservorräte wieder auf und nehme die andere Talseite in Angriff. In Alpe D´Huez führt oben hinter dem Flugplatz ein schmaler Weg in Richtung Col Du Sarenne, den ich erst befahre, aber dann rechts abbiege und auf der schwarzen Skipiste durch die Gorges Du Sarenne talwärts steuere. Ich übernachte auf knapp 1500m üNN direkt an der Romanche.

Dienstag, 23. August

Der Morgen ist noch kühl, doch die Sonne scheint und lässt das Kondenswasser vom Motorrad verdunsten. Auf dem Weg Richtung Briancon machen die Autos vor mir plötzlich eine regelrechte Alarmbremsung. Was ist denn los? Tiere auf der Fahrbahn? Ein Unfall? Ah, ich seh schon: Es kommt mir wieder mal ein Radrennen entgegen, mit Vorausfahrzeug, Servicefahrzeugen, Begleitmotorrädern und allem Drum und Dran. Alle anderen müssen warten.

Ich komme nach Italien, hinter Sestriere geht es links ab zur Strada D´Ell Assietta. Diese ist inzwischen zu einem regelrechten Rummelplatz für Freizeitoffroader geworden. Mit Gegenverkehr ist jederzeit zu rechnen. Jetzt haben sie hier auch noch einen Fotografen, der die Vorbeifahrenden gegen Entgelt fotografiert. Hier ein Beispiel seiner Kunst:

Actiongeladenes Bild eines länglichen Teilnehmers mit pfeilförmiger Wolke am Himmel

Oben treffe ich Siegmund von den Gravel Boys Bergen / Norwegen, wir unterhalten uns über Norwegen, Studierende in Oslo, die Welt, Berge, Meer und natürlich Motorräder.

Weiter geht es über Susa an den Lac De Mont Cenis, wo ich mich noch etwas austobe, und dann über den Col De L´Iseran und den Petit Saint Bernard. Bei La Thuile nehme ich die Abkürzung über den Colle San Carlo zur Unterkunft in Aosta.

Mittwoch 24. August

Das Aostatal war lange Teil Savoyens und damit französischsprachig, war allerdings nur kurze Zeit auch Teil von Frankreich. Heute ist das Aostatal aufgrund eines Sonderstatuts von 1948 eine autonome Region mit den Amtssprachen Italienisch und Französisch. In der Schule haben beide Sprachen denselben Stellenwert und Abiturienten aus dem Aostatal müssen sowohl eine Italienisch- als auch eine Französischprüfung ablegen.

Der Tourismus ist hier der bedeutendste Wirtschaftszweig. Bekannt sind die Wintersportorte Courmayeur und das am oberen Ende einer Sackgasse gelegene Breuil-Cervinia, das eine Skischaukel mit dem schweizerischen Zermatt verbindet. Hier stehe ich vor der Rückseite des Matterhorns und muss mir fast den Hals verrenken, so steil über mir ragt der einstmals als unbesteigbar geltende Berg vor mir in die Höhe.

Matterhorn Südseite

Auf kürzestem Weg, teilweise auf asphaltfreien, aber immer aussichtsreichen Nebenstrecken, komme ich in die Provinz Biella. Die Po-Ebene rechts unten, die hohen Alpengipfel über mir im Nordwesten….so sehen schöne Seitenstrassen aus. Ich schaffe es noch bis zur Wallfahrtskirche von Oropa, einem viel besuchten Wallfahrtsort in beeindruckender Landschaft. Eine Seilbahn führt von hier aus in die Berge. Diese nehme ich aber heute nicht, sondern fahre wieder zurück nach Biella, wo ich mir die schöne Altstadt ansehe und in einem zu heissen Zimmer übernachte.

Donnerstag, 25. August

Ich muss einen 35km langen Umweg in Kauf nehmen, da der Weg zwischen Colle Della Calma und Rosazza leider geschlossen ist. Das stelle ich leider erst heute fest, als ich an der Barrikade stehe. Doch ich mache das Beste draus und komme somit auf anderen Nebenstrassen zur Panoramico De Zegna. Diese 31km lange Abkürzung darf sicher als eine der Straßen im Piemont mit dem spektakulärsten Ausblick bezeichnet werden. Das atemberaubende Panorama stiehlt den vielen Kurven die Show, so dass man immer ein wenig aufpassen oder einfach oft anhalten muss, um die Landschaft zu bewundern.

In Omegna hole ich mir eine Pizza zum Mitnehmen und als ich diese an einem Park genüsslich verspeisen will, kommen 3 Kommunalarbeiter mit motorgetriebenen Laubbläsern und Rasenschneidern an und machen noch mehr Krach als Besitzer von Zuffenhausener Sportwagen mit Klappenauspuff. Ich entschädige mich mit einem Eis in Mergozzo, wo ich ein wenig wehmütig an unseren letzten Kurzurlaub hier denke. Aber jetzt mal nicht sentimental werden, zwei Sackgassen stehen noch auf dem heutigen Programm: Es geht noch hoch nach Staffa, um die in den Wolken festhängende Dufourspitze nicht zu sehen, und dann das Tocetal bis zum Staudamm des Lago Di Morasco, der teils in Italien, teils in der Schweiz liegt. In Riale muss ich allerdings wegen eines traditionellen Fests erstmal warten, um bis zum Rifugio Bim Se vorzufahren.

Freitag, 27. August

Die Nacht ist kurz in Villadossola. Bis spät in die Nacht feiern die Italiener auf ihrem Dorffest bei brüllenden Technobeats. Ich bin froh, dass ich meine Ohrstöpsel dabeihabe. So kann ich morgens einigermaßen ausgeschlafen die Heimfahrt antreten. Doch auch hier nehme ich nicht nur die Hauptstraßen. Der Simplonpass ist fast so gut befahren wie die Furkastraße, also biege ich zum Nufenen ab. Später geht es wieder nordwärts über die alte Tremola Paßstraße, dann über den Klausenpaß in wieder flachere Gefilde. Es ist Freitag Mittag, es wird immer voller auf den Straßen. Ich nehme nun doch die Autobahn, die habe ich schließlich mitbezahlt, also nutze ich sie auch. Erst bei Frauenfeld geht es wieder querfeldein in Richtung Heimat. Bei Stein am Rhein überquere ich den Namensgeber des romantischen Örtchens. Nun sind es noch knapp 160km durchs Ländle.

Pünktlich zum Gewitterende komme ich in Stuttgart an. Aus den 2300km Nebenstraßen und Sackgassen ist nun eine Rundtour geworden.

Die kann man sich hier nochmal ansehen:

Veröffentlicht von MoTranshumance

Born to Ride - Forced to Work

2 Kommentare zu „Seitenstraßen und Sackgassen 2022 – Schweiz, Frankreich, Italien

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